Das kann ich: Schön schreiben

uni_181213

Doktorschrift! Die Diagnose ist eindeutig und das Lächeln verschmitzt. Dabei war die Aufgabe, die die Kalligraphin Karin Thrän gestellt hat, ganz einfach. Schreiben Sie! Ganz breit oder besonders schnell, so schräg und so steil wie möglich.

Ein Dutzend Hörer der Straßenkreuzer Uni beugen sich im Künstlerhaus über die Blätter.

Aus den vielen Schreibproben wird die schönste Handschrift ausgesucht – und dann mit stoppeliger Zahnbürste, Pommesgabel oder einem Bleistift, der in Tinte getunkt wird, und verschiedenen Farben und Papieren experimentiert. Was spricht an, was schaut aufregend aus?

Schöne Schwünge kommen zustande, leuchtende Gedichte  – und am Schluss sogar ein Dank an die Dozentin.

18/12/2013

Die lebenden Toten

uni121213

Eine Wahrsagerin hat Reno ins Gefängnis gebracht. Sie zeichnete eine Skizze, die Eltern eines getöteten Mädchens erkannten Reno darin. 1978 wurde er verhaftet, verhört – und unterschrieb ein Geständnis.

Weitere Kindermorde wurden ihm zur Last gelegt und Reno zum Tode verurteilt. Der Journalist Arndt Peltner, der in den USA lebt, besucht ihn seit vielen Jahren regelmäßig in San Quentin.

Vor 24 Hörern der Straßenkreuzer Uni im Domus miseri cordiae schilderte er die Zustände im Gefängnis: Dort sitzen 733 Todeskandidaten ein, in Zellen von 2,40 x 1,60 Metern Größe, mit einer Stunde Hofgang pro Tag – wobei viele der Männer in Käfige gesperrt werden. Sie wären in der brutalen Hierarchie unter den Gefangenen („wer nicht gehorcht, wird getötet“) in Lebensgefahr.

Seit 2006 wurde niemand mehr in Kalifornien hingerichtet. Dennoch darf sich Reno keine Hoffnung machen: In Freiheit wird er nie wieder kommen. Lebenslang bedeutet in den USA lebenslang, Resozialisierung findet nicht statt. „Man darf sich nichts vormachen“, sagt Arndt Peltner, „die meisten sind verurteilte Mörder.

Aber wenn nur einer unter ihnen ist, der unschuldig ist, ist das System der Todesstrafe falsch.“ Der Gedanke der Abschreckung scheint auch nicht zu wirken: In den Vereinigten Staaten werden jährlich 16.000 Menschen ermordet.

12/12/2013

Verrückt – oder was?

uni041213

Verrücktsein ist nicht das Problem, sagt Michael Wörthmüller. Zum Problem wird es erst in Verbindung mit Straftaten.

Immer dann, wenn sich Gerichte mit der Schuld(un)fähigkeit eines Verdächtigenbeschäftigen, ist der Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie in Erlangen als Gutachter gefragt.

Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Frage „Ist jemand so krank, dass er nicht mehr gewusst hat, was er tut?“ Immerhin: ein Prozent der Bevölkerung hierzulande hat eine schwere psychische Krankheit, etwa jeder Fünfte hat im Lauf seines Lebens eine seelische Krise.

Wie erkennen forensische Psychiater eine Erkrankung? Dafür gebe es klare Kriterien, sagt Michael Wörthmüller vor 41 Hörern der Straßenkreuzer Uni im Karl-Bröger-Zentrum, und die Gutachter nähmen sich für Gespräche viel Zeit. In der Regel vier bis fünf Stunden. Ein komplettes Gutachten von 50 Seiten zu erstellen, dauert 20 bis 30 Stunden. Dennoch gibt er zu bedenken: Sachverständige beraten, entscheiden muss das Gericht!

Auch wenn schuldunfähige Straftäter, die wegen ihrer Gefährlichkeit in Kliniken untergebracht sind („manchmal lebenslang“), wieder in die Freiheit entlassen werden sollen, stellen die Psychiater eine Prognose. Die Trefferquote, sagt Wörthmüller, liege bei – „das ist gut“ – 80 Prozent. Aber natürlich könnten sich auch Gutachter irren.

04/12/2013

Ist Justitia wirklich blind?

uni181113

Sie trägt Augenbinde, diese Justitia. Wenn man es positiv sieht, bedeutet das, dass die Personifikation der Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person richtet.

Aber Professor Hans Kudlich, der vor 26 Hörern im Christine-Kreller-Haus der Stadtmission spricht, weist auch auf die „negative, unvermeidbare Blindheit“ hin.

Sie berührt grundsätzliche Probleme der Rechtsprechung: Der Richter, der entscheiden muss, hat die Tat nicht miterlebt und kann sich selten auf eine schriftliche Dokumentation stützen. Was tun? Unser Rechtssystem hat mehrere Filter eingebaut: Unterschiedliche Instanzen, das Mehr-Augen-Prinzip unter den Richtern und der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ plus die Möglichkeit zur Revision sollen vermeiden, dass Unschuldige verurteilt werden.

Das gelingt nicht immer. Auch Richter machen Fehler, sagt Hans Kudlich. Dass sich die Justiz so schwer tut, eigene Fehler zu bekennen, führt er auf zwei Gründe zurück. „Nicht nur irren ist menschlich, Uneinsichtigkeit ist es auch“ heißt der eine. Der andere ist die Rechtssicherheit. Wenn das Vertrauen in sie verloren geht, erschüttert dies nicht nur Betroffene – sondern die ganze Gesellschaft.

18/11/2013

Falscher Verdacht

uni151113

Die Freiheit ist für Adem Can das wichtigste Gut. Denn der 26-Jährige aus Kitzingen hat erfahren müssen, was es heißt, sie zu verlieren. Vor 24 Hörern der Straßenkreuzer Uni erzählt er im Eckstein seine Geschichte:

Von einem Augenblick auf den anderen war er Verdächtiger, saß wochenlang in Untersuchungshaft und wurde nach Belgien überstellt.

Der Gründer mehrerer Tanzschulen und einer Eventagentur sollte der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Kopf einer Betrügerbande sein, die vom Nachbarland aus operierte – bis sich herausstellte, dass er Opfer einer Verwechslung war.

Da hatte Adem Can in drei Wochen schon ein halbes Dutzend Gefängnisse von innen gesehen, Leibesvisitation und Morddrohungen erdulden müssen, hatte tausende Euro für Anwälte ausgegeben und fürchtete um seinen Ruf.

Als ihn die Täter und angeblichen Komplizen bei einer Gegenüberstellung nicht identifizieren konnten, sagte die Polizei nur: Oh, tut uns leid, Sie dürfen wieder hinaus.

„Es war ein Schicksalsschlag“, sagt Adem Can. Dass es so lange dauerte, bis seine Unschuld erwiesen war, dass er in den Verhören unsicher wurde – das erschüttert ihn noch heute.

15/11/2013