Straßenkreuzer Uni: “Wie weit reicht die Wut?” – so war’s

So groß, wie sie zuweilen scheint, ist die Wut von „denen da unten“ gegen „die da oben“ gar nicht. „Es gibt in Deutschland ein hohes Vertrauen ins System“, sagt Professor Gerhard Schulze (Foto). Der Sozialforscher beruft sich auf Befragungen der Bevölkerung, die über mehrere Jahrzehnte reichen. Mitte der 1990er Jahre sei die Unsicherheit in Deutschland viel größer gewesen: Hohe Arbeitslosigkeit, Einführung des Euro und der Golfkrieg waren ihre Gründe. Und obwohl die Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen das Leben für viele verschlechterte, habe sich der Arbeitsmarkt stabilisiert, die Wirtschaft hätte angezogen und die Deutschen wieder optimistischer in die Zukunft geblickt. Erst die Flüchtlingskrise 2016 habe ein ähnliches Niveau von Unzufriedenheit und Unsicherheit erzeugt. 40 Hörerinnen und Hörer der Straßenkreuzer Uni hören in der Heilsarmee aufmerksam zu, als Schulze den Blick auf Frankreich richtet, wo sich Wut über Ungerechtigkeiten schnell und viel drastischer entlädt als hierzulande. Ist das besser oder schlechter? Und sie diskutieren mit: Über die Schere in der Gesellschaft und über Diffamierung der Menschen, die Bedenken äußern, als Wutbürger. „Es ist eine große Errungenschaft unserer Gesellschaft, dass der Konflikt mitgedacht wird“, sagt Gerhard Schulze. Denn so könnten Wut und Protest in produktive Bahnen gelenkt werden. Voraussetzung allerdings ist, dass die Wütenden warten, bis sich das spontane Aufwallen der Gefühle beruhigt. Das beste Motto: Drüberstehen.

 

[gk]

Professor Schulze
28/06/2017

Straßenkreuzer Uni: Das Feuer des Flamenco (Nachbericht)

Wie eine Blüte öffnet sich die Hand der Tänzerin beim Flamenco und ihre Arme umfangen einen – gedachten – großen Ball. Solche geistigen Bilder malt Olga Gómez Portaleoni, um den 14 Hörerinnen und Hörern der Straßenkreuzer Uni die ersten Bewegungen zu erleichtern. Der Takt, die Schritte, die Armbewegungen. Es stürmt eine Menge Neues ein auf die Anfänger, die ins Tanzstudio Duende Flamenco in Fürth gekommen sind. Aber sie lernen schnell, denn Olga Gómez versprüht gute Laune und sprudelt vor Begeisterung für den Tanz, der wie ihre Eltern aus Spanien stammt. „Stolz wie ein Spanier“ heißt es hierzulande und diese Haltung spiegelt sich in den Bewegungen wieder: Tänzer halten sich gerade wie Stierkämpfer, Tänzerinnen sind so verführerisch wie Zigeunerinnen. „Zuerst war der Flamenco nur Gesang“, berichtet Olga Gómez. Seit dem 15. Jahrhundert drückten die Gitanos, aus Indien eingewanderte Roma, damit ihre Trauer und Wut darüber aus, dass sie am Rande der Gesellschaft leben mussten. Als der Flamenco dann im 19. Jahrhundert salonfähig wurde, kamen die Gitarre und der Tanz dazu. Und heute? Wird der Flamenco auf der ganzen Welt getanzt. Nach Spanien übrigens am heftigsten in Japan und neuerdings mit Verve auch in der Straßenkreuzer Uni.

 

[gk]

20/06/2017

Straßenkreuzer Uni: Die unauffälligen Gastarbeiter (Nachbericht)

Ganz so einfach war es nicht. „Wir haben damals Rassismus erlebt“, erinnert sich Antonio Fernandez, der mit zwölf Jahren nach Deutschland gebracht wurde. Denn seine Eltern kamen als Gastarbeiter, hatten aber beispielsweise bei der Wohnungssuche Probleme. Dabei gilt die Integration der Spanier – in der Rückschau – als gelungen. 1960 kamen die ersten, Mitte der 1970er die letzten. Alle erhielten viel Unterstützung: Gewerkschaften und Wohlfahrtsorganisationen boten Beratung an, der Rundfunk sendete täglich eine Stunde in der Muttersprache. In den Betrieben – ob Bosch, Siemens, AEG, Quelle oder Triumpf Adler – waren ihre Arbeitskraft begehrt, erinnert sich der frühere IG Metall-Bevollmächtigte Gerd Lobodda vor 14 Hörern der Straßenkreuzer Uni im Karl-Bröger-Zentrum. „Viele waren Facharbeiter, sie kannten Disziplin, waren zuverlässig und loyal.“

Anders als andere Ausländer. Lobodda wie auch Fernandez sehen Integration heute skeptisch: Unterschiedliche Kulturen, Bildungsniveaus und oft wenig Bereitschaft, in unsere Gesellschaft hineinzuwachsen. Dennoch plädieren beide für eine offene und vorurteilslose Begegnung. „Die Hand geben, Geduld haben und wahrnehmen, dass es Unterschiede gibt“, sagt Gerd Lobodda (im Bild rechts)  und rät, „mit Fragen, nicht mit Behauptungen“ auf Menschen zuzugehen. Antonio Fernandez (im Bild links), der bis vor kurzem die Spanier in Deutschland vertreten hat, Vorsitzender des Centro Espanol und Stadtrat in Nürnberg ist, sagt: „Es gibt nichts Schlimmeres als Nationalismus. Wir sollten einander mit Respekt und Toleranz begegnen.“

 

[gk]

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20/06/2017

Straßenkreuzer Uni: Buen provecho, guten Appetit! (Nachbericht)

Ein Schuss Sahne zum Schluss, das ist das große Geheimnis von Omas Milchreis. Beim spanischen Kochkurs mit Maria Portaleoni Galleja und Claudio Gómez Gonzalez werden aber noch weitere Geheimtipps gelüftet: Nie bei den Eiern sparen! Zehn Stück schlägt der gelernte Koch für ein Omelette auf. Und 24 Köche der Straßenkreuzer Uni staunen – und sie schnippeln wie die Wilden. Denn in der Lehrküche der Evangelischen Familienbildungsstätte bereiten sie ein ganzes Menü vor: Schinken und Käse zum Auftakt, Kartoffelomelette und Gambas in Knoblauch, Eintopf mit scharfer Chorizo-Wurst und Kichererbsen und als Dessert sämiger Milchreis und fruchtiger Obstsalat. An den gehört in Spanien übrigens eine Prise Zucker! Alles, was das Ehepaar Gómez vorbereitet hat, schmeckt ausgesprochen lecker und wird, nachdem man sich Buen provecho und guten Appetit gewünscht hat, an einer großen Tafel gemeinsam verspeist.

[gk]

13/06/2017

Straßenkreuzer Uni: Die Morde der NSU (Nachbericht)

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„Wegschicken kannst du ihn nicht.“ Das war der erste Gedanke von Alexander Seifert, als ihn der Sohn von Ismail Yasar um rechtlichen Beistand bat. Der junge Mann war gerade 15 Jahre,  so alt wie Seiferts Sohn, als sein Vater vom NSU ermordet wurde. Seit 2013 nun vertritt der Rechtsanwalt das Opfer in der Nebenklage, seine Kanzlei entsendet zu jedem Verhandlungstag – bisher über 365 – einen Anwalt zum Prozess in München. Warum der NSU auch in Nürnberg drei türkische Geschäftsleute mordete, wie die Taten aufgedeckt wurden und was im Prozess passiert – all das erfahren 38 Hörer der Straßenkreuzer Uni im Caritas-Pirckheimer-Haus. Aus juristischer Sicht von Alexander Seifert, aus journalistischer Sicht von Lorenz Bomhard. Er war zu Beginn der Anschlagsserie Polizeireporter bei den Nürnberger Nachrichten und begleitet die Tatserie und ihre Aufklärung seither. Er schildert das umstrittene Vorgehen der Polizei, die organisierte Kriminalität vermutete und Angehörige verdächtigte, aber auch die eigene Scham, als die rechte Terrorzelle 2011 endlich aufflog. Hätte man nicht darauf kommen müssen? Umso wichtiger, sagen beide, sei die Aufarbeitung. „Der Prozess hat extreme Bedeutung, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit“, sagt Alexander Seifert. „Es ist wichtig, dass dieses Unrecht aufgeklärt wird und die Täter nicht mit barbarischer, aber mit rechtsstaatlicher Härte bestraft werden.“ Mit dem Urteil dürfe der Fall aber nicht abgeschlossen sein, sagt Lorenz Bomhard. Gerade in Nürnberg. „Die Täter des NSU müssen Helfer in der Stadt gehabt haben, die Tipps gaben, und vielleicht auch finanzielle Unterstützung.“

 

[gk]

06/06/2017