So groß, wie sie zuweilen scheint, ist die Wut von „denen da unten“ gegen „die da oben“ gar nicht. „Es gibt in Deutschland ein hohes Vertrauen ins System“, sagt Professor Gerhard Schulze (Foto). Der Sozialforscher beruft sich auf Befragungen der Bevölkerung, die über mehrere Jahrzehnte reichen. Mitte der 1990er Jahre sei die Unsicherheit in Deutschland viel größer gewesen: Hohe Arbeitslosigkeit, Einführung des Euro und der Golfkrieg waren ihre Gründe. Und obwohl die Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen das Leben für viele verschlechterte, habe sich der Arbeitsmarkt stabilisiert, die Wirtschaft hätte angezogen und die Deutschen wieder optimistischer in die Zukunft geblickt. Erst die Flüchtlingskrise 2016 habe ein ähnliches Niveau von Unzufriedenheit und Unsicherheit erzeugt. 40 Hörerinnen und Hörer der Straßenkreuzer Uni hören in der Heilsarmee aufmerksam zu, als Schulze den Blick auf Frankreich richtet, wo sich Wut über Ungerechtigkeiten schnell und viel drastischer entlädt als hierzulande. Ist das besser oder schlechter? Und sie diskutieren mit: Über die Schere in der Gesellschaft und über Diffamierung der Menschen, die Bedenken äußern, als Wutbürger. „Es ist eine große Errungenschaft unserer Gesellschaft, dass der Konflikt mitgedacht wird“, sagt Gerhard Schulze. Denn so könnten Wut und Protest in produktive Bahnen gelenkt werden. Voraussetzung allerdings ist, dass die Wütenden warten, bis sich das spontane Aufwallen der Gefühle beruhigt. Das beste Motto: Drüberstehen.
[gk]
