KREUZERVERHÖR: Sylke Otto x Lidia und Natanael Csapai

KREUZERVERHÖR
Sylke Otto x Lidia und Natanael Csapai

Zum 25. Jubiläum des Straßenkreuzer e. V. bringen wir Menschen zusammen, die einiges gemeinsam haben – und doch ein Leben trennt. Denn sowohl unsere Verkäuferinnen und Verkäufer als auch prominente Personen der Region stehen tagtäglich in der Öffentlichkeit. Nur die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Für unser Magazin lernen sich im Jubiläumsjahr immer zwei von ihnen kennen, stellen sich einmal im Monat gemeinsam in die Öffentlichkeit – und erst im Heft einander und später nur zu gerne Ihren Fragen. Wann und wo Sie unsere in jeder Hinsicht prominenten Verkäufer besuchen können, finden Sie immer am Ende des Interviews.
Kreuzerverhör_Sylke Otto X Lidia und Nathanael_18.11.19-5

Sylke: Mein Mann hat in Nürnberg gewohnt, als ich ihn kennen gelernt habe. Deswegen bin ich damals, 1992, hier gelandet und 1994 mit ihm nach Zirndorf gezogen. Anfangs waren die Franken etwas schwierig zu knacken, fand ich, aber wenn man sie geknackt hatte, hatte man gute Freunde.

Natanael: Mir ist es damals schwer gefallen, aus München nach Nürnberg zu kommen. Aber die Liebe zu Lidia war groß. Inzwi-schen lebt auch Lidias Mutter hier und passt gerade auf die bei-den Kinder auf, während wir hier sind.

Auf einem großen runden Tisch im Wohnzimmer stehen eine Kan­ne mit dampfendem Kaffee und ein Teller mit belegten Brötchen, die Sylke Otto besorgt hat. Die rumänisch­stämmige Straßenkreu­zer ­Beirätin Dagmar Jöhl übersetzt bei Bedarf – und ermutigt: Natanael versteht zwar gut Deutsch, traut sich aber zu selten, die neue Sprache auch zu benutzen.

Sylke: Könnt ihr mit Sport was anfangen?

Natanael: Ich hab früher in Rumänien Fußball gespielt und damit sogar etwas Geld verdient. Aber die Beschaffenheit der Fußballplätze war nicht gut und ich hab den vielen Staub nicht vertragen, ich hatte schon immer Probleme mit Asthma. Meine Mutter hat mir das Fußballspielen dann verboten. Heute habe ich keine Zeit mehr für Sport. Arbeiten gehen und für die Kinder sorgen ist sehr ausfüllend und herausfordernd, da fehlt einem auch einfach die Kraft. Mit Kindern ist das Leben sehr schön, aber auch manchmal sehr schwer.

Sylke: Ich mache heute auch keinen Sport mehr. Mein Leben hat sich komplett geändert, seit ich damals bei meiner ersten Schwangerschaft aufgehört habe. Im Sommer interessiert mich Sport auch weniger, da bin ich viel lieber draußen im Grünen. Aber im Winter schauen wir sehr viel Sport: Wintersport.

Lidia: War es damals nicht möglich, gleichzeitig Sport zu machen und einen normalen Beruf auszuüben?

Sylke: Nein, sonst kommt man nicht auf das Niveau, das man benötigt, um beim Wettkampf vorne mit dabei zu sein.

Lidia: Ist Rennrodeln gefährlich?

Sylke: Eigentlich nicht, finde ich. Ich bin zum Glück während meiner Karriere von schweren Verletzungen verschont geblieben. Abgesehen davon: Welcher Sport ist nicht gefährlich? Man kann sich ja sogar beim Schach den Kopf zerbrechen …

Natanael: In Rumänien sind wir als Kinder mit alten Holzschlitten gefahren. Die hatten Metallkufen unten, die wir mit Speck ein-geschmiert haben – damit sie nicht rosten und wir schneller sind!

Auf einem Schrank stehen unter anderem die beiden olympischen Goldmedaillen, die Sylke Otto 2002 und 2006 im Rennrodeln gewonnen hat. Lidia und Natanael mustern und berühren sie neugierig, staunend. Damit die beiden sich Sylke Otto als aktive Sportlerin besser vorstellen können, zeigt sie ihnen Fotos von sich – und ein Video von ihrer Tochter beim Tanzen.

Lidia: Machen Ihre Kinder auch Sport?

Sylke: Meine Kleine ja, die tanzt Hip-Hop. Meine Große ist mehr der Pferdenarr. Rodeln tut keine von beiden.

Lidia: Das Tanzen kenne ich von den rumänischen Volkstänzen. Das ist aber lange her.

Sylke: Fühlt ihr euch in Nürnberg denn zu Hause und angekommen oder vermisst ihr Rumänien und wollt irgendwann dahin zurückgehen?

Lidia & Natanael: Wir fahren immer wieder nach Rumänen und besuchen Freunde und Verwandte. Aber unsere Heimat ist hier, wir fühlen uns wohl und möchten bleiben. Unser Leben hier ist bescheiden, sehr bescheiden. Wir können uns zum Beispiel keine Kinderkrippe leisten, obwohl das gut für die Kinder wäre. Aber wir möchten es nicht eintauschen.

Die zweifache Rennrodel-Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin Sylke Otto (50) stammt aus Karl-Marx-Stadt. Seit 1992 lebt sie gemeinsam mit ihrem Partner in Zirndorf bei Fürth, 2007 beendete sie ihre Karriere wegen einer Schwan-gerschaft. Heute ist die inzwischen ebenfalls zweifache Mutter selbstständig und Inhaberin eines Geschäftes für Kindersa-chen. Als Sportlerin ist sie nicht mehr aktiv, dafür politisch: Seit 2008 sitzt sie für die SPD im Zirndorfer Stadtrat.

Lidia Maria (33) und Natanael Csapai (32) stammen aus Alba Iulia in Rumäniens. Als Kinder besuchten sie die gleiche Schule, verloren sich aber danach aus den Augen. Viele Jahre später – inzwischen waren Lidia und Natanael unabhängig voneinander in Süddeutschland gelandet – lernten sie sich erneut kennen, heirateten und leben mit zwei Kindern in bescheidenen Verhältnissen in Nürnberg. Natanael arbeitet bei einer Reinigungsfirma, Lidia verkauft seit sieben Jahren den Straßenkreuzer.

Interview: David Lodhi | Freier JournalistFoto: Claudia Holzinger | claudia-holzinger.de