KREUZERVERHÖR: Bernhard Chapligin x Frank Scheidemann

KREUZERVERHÖR
Bernhard Chapligin x Frank Scheidemann

Zum 25. Jubiläum des Straßenkreuzer e. V. bringen wir Menschen zusammen, die einiges gemeinsam haben – und doch ein Leben trennt. Denn sowohl unsere Verkäuferinnen und Verkäufer als auch prominente Personen der Region stehen tagtäglich in der Öffentlichkeit. Nur die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Für unser Magazin lernen sich im Jubiläumsjahr immer zwei von ihnen kennen, stellen sich einmal im Monat gemeinsam in die Öffentlichkeit – und erst im Heft einander und später nur zu gerne Ihren Fragen. Wann und wo Sie unsere in jeder Hinsicht prominenten Verkäufer besuchen können, finden Sie immer am Ende des Interviews.
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Die Wärmestube in der Köhnstraße hinter dem Hauptbahnhof wirkt im Winter trist. Sehr trist. Es fehlt der Hoffnungsschimmer der Frühlingsblüte. Der sich direkt anschließende, gruselig graue Gebäudekomplex der SÖR macht das Bild nicht besser. An das östliche Eck dieses Komplexes schließt sich zwischen Gehweg und der hügeligen Erhebung zu den Zuggeleisen ein kleines Rasendreieck an. Hier übernachten wohnungslose Menschen.

Burnd: Was ist für dich Kälte?

Frank: Kälte ist für mich relativ. Damit muss ich leben. Generell hat, wer draußen übernachtet, kein Wunschdenken, sondern muss mit dem leben, was er hat.

Burnd: Bedeutet das, du hast dich mit der Zeit an die Kälte ge-wöhnt?

Frank: Ich habe im Rahmen meiner Ausbildung vor vielen Jahrzehnten immer wieder Zeit in Russland verbracht. Das war ja in der ehemaligen DDR häufig so. Da war es nicht bloß kalt, da war es saukalt.

Burnd: Ich habe grundsätzlich auch eher kein stark ausgeprägtes Kälteempfinden. Meine Frau friert deutlich früher als ich. Auf Expedition bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad kommt es halt ganz klar auf die richtige Bekleidung an, sonst hat man da verloren.

Frank: Ich hab gelernt, dass man sich aus den Mitteln, die einem im Wald zur Verfügung stehen, eine kleine Hütte bauen kann. Mit einem kleinen Teelicht kriegt man die immer auf null Grad. Und einen guten Schlafsack braucht man.

Burnd: Da legst du dich dann mit Klamotten rein, wenn es kalt ist?

Frank: Nein, nackt. Sonst schwitzt man und das ist kontraproduktiv.

Burnd: Sucht man sich, wenn das Wetter schlecht ist, auch mal eine Brücke, unter die man sich legt?

Frank: Das versuchen wir zu vermeiden, weil es umso kälter ist, je näher man am Wasser liegt. Wir versuchen eher, möglichst weit weg vom Wasser zu sein. Auf der anderen Seite sollte es fußläufig erreichbar sein, damit wir uns waschen können.

Burnd: Ich war vor allem in Kanada und Russland auf Expedition. In Kanada sind wir in eisige Seen gesprungen, um uns zu waschen. In Russland war das anders, da waren alle Saunafans und deshalb wurde das auch so gut wie immer ermöglicht. Da wurde auch mal ein Container auf Kufen mitgenommen. Zweimal pro Woche ging es dann zum Saunieren und Waschen rein, und dann direkt wieder raus bei minus 30 Grad.

Klaus: Wie habt ihr euch in der Arktis für einen Tag draußen vorbereitet?

Burnd: Man bekommt seine Ausrüstung und eine detaillierte Packliste vom Institut. Meistens stand auf der Liste ein Doppeldaunenschlafsack drauf. Den kannst du über null Grad vergessen, weil du dich totschwitzt. Woraus besteht denn deine Grundausstattung?

Frank: Schlafsack, Isomatte und ein Rucksack mit meinem Hab und Gut. Viele machen den Fehler, dass sie zu viel trinken, bevor sie mit ihren Sachen einen Schlafplatz suchen. Das ist auf der Straße ganz gefährlich, weil man das Empfinden verliert, wenn man getrunken hat. Da kann man aufwachen und ein Bein ist halb abgefroren. Nix gegen ein Bierchen oder einen Schnaps, damit man innerlich aufwärmt. Aber dann ist Schluss.

Burnd: Wenn ich in Russland war, hat der Wodka ja nicht als Alkohol, sondern als Grundnahrungsmittel fungiert. Es gab aber auch die sogenannten „Dry Camps“, da wurde nicht getrunken. Sehnt man sich eigentlich nicht nach einem festen Zuhause, einem Zimmer, einem überdachten Schlafplatz, wenn man auf der Straße lebt?

Klaus: Man müsste sich dafür bei der Stadt anmelden. Und kann dann nicht selbst bestimmen, wo man hinkommt. Es gibt Notschlafstellen, Pensionen und Wohnheime. Einige davon sind gut geführt, andere nicht, da lebt man meines Erachtens nach menschenunwürdig. Da ist die Straße für uns sauberer und sicherer.

Frank: Wir sagen das immer wieder, aber uns hört keiner zu. Einerseits möchten die Behörden, dass niemand auf der Straße lebt. Aber dann sollte man für ein menschenwürdiges Umfeld sorgen. In manchen Wohnheimen sind die Matratzen so versifft, dass man es wirklich nicht ertragen kann.

Klaus: Viele, die auf der Straße leben, sind schon selbst an ihren Lebensumständen schuld, das muss man klar sagen. Aber wenn man da rauskommen möchte, sind die Möglichkeiten und Chancen schon sehr begrenzt.

Die Nähe einer Tagesaufenthaltsstätte wie der Wärmestube ist vielen obdachlosen Frauen und Männern wichtig. Da hat man es frühmorgens, wenn um 9:30 Uhr die Türe aufgeht, nicht weit.

Burnd: Was bedeutet für euch Wärme?Frank: Warm ist es für mich dann, wenn ich alles schön offen habe, frische Luft kriege, es vielleicht zwölf Grad hat. Gute Ge-spräche können auch etwas Wärme geben, aber ich bin eigentlich lieber alleine als in Gesellschaft.

Klaus: Also ich brauche so zwischen 15 und 22 Grad. Da fühle ich mich am wohlsten. Menschliche Wärme in Form von Unter-haltungen, die brauche ich aber auch als Wärmefaktor. Oder man nimmt sich einfach mal in den Arm

Interviewführung:David Lodhi | freier JournalistFotos: David Häuser | davidhaeuser.de

Der gebürtige Bamberger Bernhard „Burnd“ Chapligin (40) hat viele Jahre in der Polarforschung gearbeitet, bevor er 2014 nahe Nürnberg sesshaft wurde. Der Doktor der Geo-Chemie war im vergangenen Jahr zum vorerst letzten Mal auf Expedition, hauptberuflich bucht er inzwischen Künstler und entwickelt Festivalformate für das Concert büro Franken (CBF).

Frank Scheidemann lebt seit acht Jahren ohne Ob-dach. Das wird noch zwei weitere Jahre so bleiben, dann will der 63-jährige Thüringer und laut eigener Aussage ehemalige DDR-Meister im Ringen in seine Heimat zurückkehren. Er habe da eine Hütte mitten im thüringischen Wald, sagt er, wohin er sich zurückziehen und, umgeben von Tieren, seinen Lebensabend genießen will. Frank Schei-demann hilft ehrenamtlich in der Wärmestube.

Klaus Billmeyer (58) hat nach einem Jahrzehnt auf der Straße nun wieder eine Wohnung und ist beim Straßen-kreuzer als Pfandbeauftragter und Stadtführer angestellt. Er ist eigent-lich als Kontaktperson mit dabei, beginnt aber nun, sich am Gespräch zu beteiligen.

Interviewführung: David Lodhi | freier JournalistFotos: David Häuser | davidhaeuser.de